Felsbögen und freche Möwen

Porte d'Aval mit der vorgelagerten Felsnadel Aiguille

Es gibt Ortsnamen, die lassen Kunsthistoriker und Geologen gleichermaßen aufhorchen. In einem dieser Orte waren wir kürzlich, nämlich in Étretat in der Normandie. Das ist eine kleine Stadt von nur etwa 1500 Einwohnern an der französischen Ärmelkanalküste. Berühmt ist dieses Seebad vor allem durch seine ungewöhnlichen Klippen aus weißem Kreidegestein, die diesem Abschnitt den Namen Alabasterküste eingetragen haben, und durch einige markante Felsbögen darin.

 

Claude Monets Sicht auf die Klippen von Etretat (Bild: gemeinfrei)

Rund 70 bis 80 Meter sind diese Klippen hoch. Man erkennt an der horizontalen Lagerung der Schichten, wie sie einst entstanden sind, nämlich aus Meeresablagerungen von Kalk. Das geschah vor etwa 150 Millionen Jahren in der Oberkreide. Innerhalb der Kreideschichten bildeten sich auf noch nicht vollständig geklärte Weise Knollen von Feuerstein (Flint), der aus Quarz besteht. Die Erosion greift das vergleichsweise weiche Gestein an, daher fallen immer mal wieder große Brocken ab. Wir konnten an mehreren Stellen breite Risse im Gestein erkennen, allerdings dürfte der Spaziergang auf den gut ausgebauten Wanderwegen oberhalb der Klippen in dieser Hinsicht gefahrlos sein – solange man nicht zu nahe an die ungesicherten Ränder herantritt, wo es Dutzende von Metern ziemlich steil hinab geht. Die Menschen auf dem Strand erlauben, die Größenverhältnisse abzuschätzen.

Das Meer löst dann die Kreide aus den abgestürzten Brocken, und die festen Einlagerungen aus Quarz bleiben liegen. Die Brandung schleift sie mit der Zeit zu runden Knollen, die den Strand im wesentlichen bilden. Man darf sie übrigens nicht sammeln und mitnehmen: Sie bilden einen wichtigen Küstenschutz.

Steingeröll, von der Brandung rund geschliffen

Die berühmten Felsbögen, die unter anderem Maler wie Monet, Delacroix, Courbet und Matisse anzogen, sind allerdings nicht durch Meereserosion entstanden. Sie stammen von einem längst vergangenen Fluss, der einst dort strömte, wo heute die Küste liegt. Wie wasserreich das Gestein ist, erkennt man am Strand: Hier brechen an mehreren Stellen aus dem Geröll unversehens recht kräftige Süßwasserquellen hervor.

Süßwasserquelle direkt am Strand

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Daher haben sich die Felsbögen auch seit vielen Jahrzehnten nicht verändert, wie ein Vergleich der Bilder (oben von mir 2012, unten von Monet 1885) beweist. Unterschiedlich allerdings ist der Wasserstand: Monet malte bei Flut, ich fotografierte bei Ebbe; und das macht an dieser Küste viel aus: Der Gezeitenhub beträgt hier vier bis fünf Meter! Man erkennt das am nächsten Bild, das einen weiteren Felsbogen zeigt: Der obere Rand der dunklen Linie entspricht dem höchsten Wasserstand.

Ponte d'Amont, der dunkle Streifen zeigt die Überflutungszone

 

 

 

 

Zu den Dingen in Étretat, die uns besonders auffielen, gehören auch die erstaunlich frechen Möwen. Kaum hatte jemand von uns in einem Strandcafe den Teller leergegessen, stürzte sich eine Möwe auf die verbliebenen Reste. Ihr Hunger war offenbar weit größer als die Angst vor den noch am gleichen Tisch sitzenden Menschen – oder deren Fotoapparaten.

Hungrige Möwe

 

 

 

 

 

 

 

Bildquelle Monet: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Claude_Monet_The_Cliffs_at_Etretat.jpg&filetimestamp=20080925050539

Touristenoffice von Étretat: http://www.etretat.net/office-de-tourisme-etretat/modules/content/content.php?page=accueil&lang=de

Wer weitere Gemälde und Bilder von Étretat sucht, wird im Internet reichlich fündig: http://www.google.de/search?q=Etretat&hl=de&client=safari&rls=en&prmd=imvns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=3mmBT5zqKYWRswbrqYndBA&ved=0CIYBELAE&biw=1455&bih=1106