Ein Wald aus Stein

Als ich hörte, dass meine neue Vorlesungsreise unter anderem nach Kunming führen würde, wollte ich unbedingt einen Ausflug zu dem berühmten Steinwald von Shilin machen. Er zählt zu den berühmtesten Karstformationen in der geologisch sowieso reich ausgestatteten Provinz Yunnan. Shilin bedeutet auf Chinesisch übrigens tatsächlich „Steinwald“, und am Zeichen „lin“ (Wald) erkennt man das noch deutlich.

Das chinesische Zeichen für Wald (lin). Man erkennt gut die Symbole der Bäume

Dieser „Steinerne Wald“ liegt etwa 80 Kilometer südöstlich von Kunming und ist per Auto in gut anderthalb Stunden zu erreichen. Er umfasst insgesamt 350 Quadratkilometer (das ist etwa die Fläche von Bremen), wir haben aber nur einen Teil besucht, nämlich den Großen und den Kleinen Steinwald.

Ein Wald aus hochragenden Felsen

Die steil aufragenden Felsen des Steinwaldes stehen vielfach dicht an dicht, und ihre Zahl geht in die Tausende – daher die Bezeichnung Wald. Sie bestehen im wesentlichen aus Kalk. Vor über 300 Millionen Jahren wogte hier ein warmes Meer, dass diesen Kalk in Hunderte von Metern dicken Schichten ablagerte. Unter Druck und Hitze der Erdtiefe verfestigten sich die Ablagerungen zu hartem Kalkstein. Später hob sich das Land, und nun bearbeiteten Wasser und Temperaturwechsel das Gestein und bildeten durch Erosion teils abenteuerliche Formen. Nicht alle Teile des Gebiets bestehen übrigens aus reinem Kalkstein, in einige Regionen herrscht Dolomit vor. Er ist weicher und wurde daher in noch seltsamere Formen verwandelt. Auch Höhlen und Wasserfälle gibt es, die haben wir aber nicht besuchen können.

Bougainvilleen setzen an vielen Stellen violette Farbtupfer. Im Hintergrund der Aussichtspavillon

In einem Touristenzentrum löst man die Eintrittskarten. Hier kann man sich auch eine Führerin mieten. Diese in bunte Trachten gekleideten Mädchen gehören der chinesischen Minderheit der Sani an, die in diesem Gebiet seit langem beheimatet ist.

Führerin in bunter Sani-Tracht

Der erste Teil, in den man per Elektrowagen gebracht wird, ist für meinen Geschmack etwas zu reichlich touristisch erschlossen. Es gibt hier künstliche Seen und breite befestigte Wege. Ein Hinweisschild informiert über weitere geplante Projekte, darunter eine „Hauptstadt des Steinwald-Karnevals“, Hotels, Clubs, Geschäfte und Restaurants.

Besonders im vorderen Teil drängen sich die Besucher

Der hintere Teil aber ist dann deutlich naturbelassener. Man kann auf kleinen Wegen spazieren. Treppen führen zu einem kleinen Aussichtspavillon in chinesischem Stil, von dem aus man eine gute Rundsicht hat – unbedingt empfehlenswert, nicht nur für Übersichtsfotos. Der westliche Besucher darf sich freilich nicht wundern, wenn er plötzlich selbst zur Sehenswürdigkeit wird und viele Chinesen mit ihm fotografiert werden möchten.

Karren und aufliegende Felsen. Geologen bezeichnen diese Verwitterungsform tropischer Klimate als "Pinnacle"-Karst

Zu den typischen Erosionsformen, die man antrifft, zählen die Großkarren – vertikale Rinnen im Stein, begrenzt von scharfkantigen Erhebungen. An einigen Stellen findet man aber auch Felsen von weichen, kurvigen Erosionsformen. Hier hat das angreifende Wasser gewirkt, während sie im Boden lagen.

Vom Großen Steinwald aus kann man dann per Elektrowagen zum Kleinen Steinwald gefahren werden. Hier findet man neben tollen Felsformationen eine besondere Attraktion: den Ashima-Felsen.

Manche Felsen haben sogar Löcher

An vielen Stellen ragen die Felsen Dutzende von Metern empor

Zwischen den Felsen gibt es viel Grün, in dem zahlreiche Pflanzen und Tiere leben

Für meine chinesischen Begleiterinnen nämlich war dieses Gebiet nicht zuletzt wegen einer hier beheimateten Legende sehenswert, die später Stoff für Erzählungen und Filme abgab: die Legende von Ashima. Das war einst ein hübsches Sani-Mädchen, und ihr Name bedeutet „golden“. Sie hatte sich mit Ahei verlobt, einem Spielgefährten aus ihrer Kindheit. Dann aber verliebte sich Azhi, der Sohn eines örtlichen Kriegsherrn, in sie. Als sie seinem Werben nicht nachgab, entführte er sie kurzerhand und schlug sie und sperrte sie in eine Höhle, um sie gefügig zu machen. Ahei versuchte sie zu befreien, löste dazu sogar eine Reihe schwerster Aufgaben, die ihm der Vater von Azhi stellte und hatte schließlich Erfolg. Doch der darüber erboste Azhi und sein Vater beschworen dann einen „heiligen Felsen“, ihnen zu helfen. Als Ashima und Ahei einen Fluss überquerten, sandte dieser Felsen eine Flutwelle, in der Ashima ertrank. Doch sie wurde dann in einen Felsen verwandelt, der ein Echo zurückwarf und so ihre Stimme bewahrte. Dieser Ashima-Felsen steht heute am Rande eines künstlichen Sees und zählt – natürlich – zu den meist fotografierten Teilen des Gebiets.

Gruß von Ashima – der hohe einzelne Fels im Hintergrund ist das "versteinerte" Mädchen

Bevor man dann wieder per Elektrowagen das Gebiet verlässt, sollte man übrigens noch ein interessantes, unbedingt empfehlenswertes Museum besuchen, das „Stone Forest Karst Geology Museum“. Neben dem Museumseingang plätschert ein hübscher künstlicher Wasserfall. Ich durfte im Museum zwar nicht fotografieren, bekam aber eine private Führung. Es zeigt in mehreren gewaltigen (und schön kühlen) Hallen Tropfsteine und andere interessante und wirklich ungewöhnliche Kalkbildungen aus Höhlen, dazu zahlreiche Fossilien aus dem Kalkstein und birgt darüber hinaus eine reichhaltige Mineraliensammlung sowie eine Sammlung riesiger Stücke versteinerter Baumstämme, etwa von Ebenholz. Besonders ungewöhnlich: ein mit über 200 chinesischen Gerichten gedeckter Esstisch – alle Gerichte bestehen aus diversen Mineralen. Was ich leider vermisste, war eine Abteilung mit Hintergrundinformationen zur Karst- und Höhlenbildung und zu anderen Karstphänomenen auf der Welt – aber das kommt vielleicht noch; das Museum ist ganz neu und offenbar noch im Aufbau.

Künstlicher Wasserfall neben dem Museum

Wer sich für Höhlen und Kalk interessiert, könnte einen Blick in mein WASISTWAS-Buch „Höhlen“ werfen.